Die Ankunft - 1. September 2011
Die Zugfahrt war lange, aber besser als gedacht. Etwas nervös wurde ich, als die Ankunft bevor stand. Zweifel kamen doch wieder auf. War ich in eine Sackgasse gerannt, hatte ich mir zuviel versprochen? Ist das alles wirklich so wie zuvor gelesen?
Die Antwort kann ich dem neugierigen Leser schon mal geben: ja, ich wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil.
Eine junge Frau holte mich vom Bahnhof ab. Die ersten Gespräche verliefen gut, keine falsche Scheu.
Beim Frühstück wurde mir dann auch gesagt, wenn ich eventuelle Extrawünsche habe, dann sollte ich es sagen. Soweit ginge das Viewen dann doch nicht.
Das ist vollkommen in Ordnung, dachte ich.
Wenn mir jemand bei meiner Ankunft gesagt hätte, wie ich meine Brötchen mag, würde mich wohl eher ein Unwohlsein überkommen haben. Ein paar Geheimnisse braucht der Mensch. Also war auch eine andere Befürchtung vom Tisch, die ich gehegt hatte. Wie viel wissen sie denn schon über mich, bevor ich komme? Es stellte sich heraus: soweit nur das, was mein Lebenslauf hergab. Dann sind die Gespräche auch interessanter.
Nicht so, wenn vor jedem Satz die Unterbrechung kommen würde: nein, sag nichts, ich weiß du magst am liebsten Schokoladen-Eis, beim Duschen schäumst du dir die Haare zweimal ein und die Zehennägel schneidest du nach dem Mondzyklus (Das sind natürlich fiktive Beispiele ;-)
Die Phantasie hatte mich dann doch etwas beflügelt und es stellte sich heraus, dass Remote Viewer ganz normale Menschen mit einem ernüchternd normalen Alltag sind. Jeder hat seinen Beruf, seine täglichen Pflichten. Im Grunde war es wie jeder andere Alltag. Kinder in die Schule oder raus aus der alten Windel, Schreiiii, Arzttermine, immer wieder unerwartete Zwischenfälle, hier und da ein kleines Chaos, kotzende Katzen und Spielzeug. Kochen, einkaufen, organisieren, den Buchverlag verwalten, Kundenwünsche und Seminartermine regeln und vieles, vieles mehr.
Wer dachte, dass hier esoterische Jünger fünf Zentimeter über dem Boden schwebend das Universum nach der nächsten Aufgabe fragen, täuscht sich gewaltig. Ganz im Gegenteil. Ich hatte es hier teilweise mit mehr nüchterner Betrachtung und selbstkritischer Haltung zu tun, als an der Universität. Dort gab es schon eher die schwebenden Professoren, die ihr Wort für Gesetz hielten und nicht im Stande waren, über den Tellerrand zu gucken. Heiligenschein inklusive.
Da war ich nun, eingetaucht in das Leben einer Remote Viewer-Familie, das so gut wie alltäglich und ganz normal war.
Remote Viewing ist ja wie gesagt nicht alles im Leben. Essen und Atmen muss man auch.
Beides gelingt außerordentlich gut hier. Meine Lunge ist aus Trier leider keine frische Luft mehr gewöhnt, die gibt es hier ja in bester Qualität. Damit die Umgewöhnung nicht so schockartig verläuft, rauche ich ab und zu eine Zigarette.
Auch das Essen ist wunderbar. Jemand, der gerne kocht mag sowieso neue Küche und damit neue Anregungen. Ich plane jetzt schon die ersten Gerichte für meine Rückkehr. Man sieht also, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist, bin ich schon bereichert. Und vielleicht kann ich irgendwie ein bisschen frische Luft mit zurück bringen. Wir armen Trierer haben es nötig.
Ein kleiner Spalt, durch den das Licht drängt - 2. September 2011